Im Zentrum des Treffens stand die provokante Frage: „Geschützte Natur – kein Platz für Menschen?“ Aus tansanischer Perspektive berichteten unsere Gäste, Menschenrechtsaktivistinnen und Mitarbeiter anerkannter NGOs in Tansania, von den dramatischen Auswirkungen der Umsiedlung der Massai-Gemeinschaften aus Schutzgebieten wie dem Ngorongoro-Krater. Die jahrhundertelange Koexistenz von Mensch, Vieh und Wildtieren werde durch staatlich verordnete Absiedelung und den zunehmenden Einfluss von Tourismusprojekten zerstört – unter dem Vorwand des Naturschutzes. Kritisch hinterfragt wurde, inwieweit diese Praxis tatsächlich dem Erhalt der Natur dient oder vielmehr wirtschaftlichen und anderen, externen Interessen folgt.
Auch in Österreich ergeben sich Parallelen: Wie gelingt es, Naturschutz in Einklang mit lokalen Bedürfnissen und Nutzungsansprüchen zu bringen? Und wie können Erfahrungen aus dem Globalen Süden unseren Blick auf Umweltpolitik im Alpenraum schärfen – und umgekehrt Einsicht in österreichische Erfahrungen bringen?
Die Exkursion führte durch ausgewählte Flächen im Nationalpark, begleitet von Expert:innen wie Andreas Hatzenbichler vom Nationalpark Kalkalpen sowie Gerhard Rettenbacher von der Feichtaualm. Mit dabei waren auch Forschende der Universität Wien, darunter Drin Jacqueline Loos, Gav Bonson, Anna Lena Mieke, Kaja Danowska, Georg Teischinger und Sissi Dimitirie Mukanyiligira, die in ihren Projekten die Schnittstellen zwischen Naturschutz, Machtverhältnissen und sozialer Gerechtigkeit untersuchen.
Die Diskussionen vor Ort zeigten, dass Naturschutz nie nur eine ökologische, sondern immer auch eine politische und soziale Dimension hat. Der Austausch zwischen den unterschiedlichen Perspektiven war ein wertvoller Beitrag zum gegenseitigen Lernen und zur Reflexion über globale Verantwortung im Umwelt- und Ressourcenschutz.
Im Austausch mit Wissenschaftler:innen, Nationalparkmitarbeitern und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen wurden zentrale Fragestellungen vertieft, die auch über Tansania hinaus Bedeutung haben: Wie nehmen die Massai Umweltveränderungen wie Klimawandel, Artensterben und Lebensraumveränderungen wahr – und wie beeinflussen diese ihren Alltag und ihre Beziehung zur Natur? Welche Rolle spielen Schutzmaßnahmen, Tourismusentwicklung oder Trophäenjagdprojekte, wenn diese ohne ausreichende Mitsprache geplant und umgesetzt werden?
Ein besonderes Augenmerk galt der Frage, wie solche Maßnahmen mit den traditionellen Nutzungsformen und kulturellen Lebensweisen der Massai kollidieren. Die Umsiedlungspolitik im Ngorongoro-Krater ist dabei ein exemplarisches Beispiel: Sie bringt nicht nur tiefgreifende ökologische und wirtschaftliche Einschnitte mit sich, sondern auch massive kulturelle Verluste. Das Verhältnis der Massai zur Natur – geprägt durch jahrhundertelange Koexistenz – wird dadurch nachhaltig erschüttert.
Ein weiterer Diskussionspunkt betraf mögliche Entschädigungen: Gab es überhaupt Kompensationen? Und welche wären aus Sicht der betroffenen Gemeinschaften gerecht – auch im Sinne eines nachhaltigen, langfristig tragfähigen Naturschutzes?
Rechtliche Rahmenbedingungen spielen dabei eine zentrale Rolle. Nationale Gesetze wie das tansanische Wildtiermanagement sowie internationale Abkommen zu Biodiversität und Schutzgebieten wirken sich unmittelbar auf die Rechte indigener Bevölkerungen aus. Gleichzeitig wurde die Rolle externer Akteure kritisch beleuchtet: Tragen NGOs, internationale Naturschutzorganisationen und wissenschaftliche Einrichtungen zur Stärkung lokaler Stimmen bei – oder marginalisieren sie diese erneut?
Zuletzt war erkennbar: die Kämpfe um Landrechte österreichischer Bauern und Bäuerinnen liegen teilweise länger zurück. Verhandlungen rund um die Errichtung von Nationalparks haben hier lange gedauert und viele Familien haben ihre langjährig und urkundlich festgehaltenen Rechte an Weidegründen und Holz neu durchgesetzt. Es braucht viel Dialog und Kompromisse, um friedliche Lösungen zu erreichen. Wir wünschen uns, dass die Bedürfnisse der Bevölkerung in Tansania dahingehend besser gehört werden und tragfähige Lösungen entstehen können.
Moderation: Jaqueline Loos
Organisation & Übersetzung: Bernhard Schön, Julia Pichler, Martin Stöbich (Welthaus Linz), Laura Wurm (Dolmetscherin)
Medienbegleitung: Radio FRO
Begegnung mit Gästen wird gefördert aus Mitteln der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit.