Umkehr und Versöhnung

Liebe Schwestern und Brüder!
Die Eucharistie stand im Mittelpunkt meines Hirtenbriefes im Vorjahr. Diesmal möchte ich am Beginn der Fastenzeit auf das Bußsakrament zu sprechen kommen und im Sinne des heiligen Paulus dazu einladen: „Lasst euch mit Gott versöhnen" (2 Kor 5,20).
Wenn Menschen miteinander und mit Gott versöhnt leben, ist dies ein hohes Gut und wird oft als echtes Geschenk erfahren. Sie wissen, dass dies nicht selbstverständlich ist und dass es immer wieder gilt, Versöhnung zu suchen und entsprechende Schritte zu setzen. Umkehr beginnt in der Regel mit der Bereitschaft, sich und das eigene Umfeld in Blick zu nehmen und Veränderungen anzustreben. Dies zählt auch zu den wichtigsten Botschaften, wovon wir in der Heiligen Schrift lesen.
Sich umwenden
Immer wenn sich das Volk Israel von seinem Bund mit Gott abwandte und sich irgendwelchen Götzen unterwarf oder wenn die Gerechtigkeit im Land unter die Räder kam, dann forderten die Propheten ihr Volk auf, diese Wege nicht weiterzugehen. Sie mahnten zur Umkehr, um das wieder ernst zu nehmen, was doch die Berufung und Würde Israels als Gottes Volk ausmacht.
„Sich umwenden" lautet daher das Wort buchstäblich, das die hebräische Bibel dafür verwendet. Gemeint ist eine neue Hinwendung zum gerechten und barmherzigen, zum treuen und liebenden Gott, und zugleich in Nachsicht und Liebe zu den Menschen.
Im Evangelium nach Markus vernehmen wir als erstes Wort aus dem Mund Jesu eine knappe Zusammenfassung seiner Botschaft: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium" (Mk 1,15; vgl. Mt 4,17). Der Grund, warum die Menschen umkehren sollen, ist demnach nicht ein drohendes Unheil oder Strafe, sondern die frohe Botschaft, dass jetzt die Königsherrschaft Gottes herangekommen ist. Wo seine Maßstäbe der Gerechtigkeit, seine Güte und Treue gelten und erfahrbar werden, da braucht es zugleich die Bereitschaft, auch seine Wege zu gehen. Wer sich als Christ in sein Reich gerufen weiß, steht somit unter dem Anspruch, sich selbst auch an den im Evangelium überlieferten Vorstellungen Gottes von arm und reich, von oben und unten, von Ersten und Letzten, von Herrschen und Dienen auszurichten. Das dabei verwendete griechische Wort bedeutet wörtlich: „um-denken", also eine andere Gesinnung, eine ganz neue Haltung einnehmen.
Schon die ersten Christen luden deshalb ihre Mitmenschen zur Umkehr ein, insbesondere im Zusammenhang mit der Feier der Taufe: Menschen, die ihr Leben künftig auf die Botschaft vom auferstandenen Herrn gründen wollten, die in ihm eine neue Existenz fanden und an seinem Leben teilnehmen wollten, empfingen die Taufe. Sich abkehren von seinen bisherigen, oft auch schuldbeladenen Wegen und sich Jesus Christus zuzuwenden, gehörten demnach von Anfang an zusammen. In seiner ersten Predigt rief Petrus den Zuhörern deshalb zu: „Kehrt um und lasst euch auf den Namen Jesu taufen" (vgl. Apg 2,38).
Verbundenheit
Weil aber auch der getaufte Christ nicht einfach frei ist von der Versuchung zum Bösen, mahnt die Heilige Schrift zur bleibenden Verbundenheit mit Christus in der Gemeinschaft der Kirche. Ihr wurde vom Herrn gleichsam als Ostergeschenk Christi das Sakrament der Buße und der Versöhnung anvertraut. Denn als der Auferstandene sich seinen Aposteln zeigte, sagte er ihnen: „Empfangt den Heiligen Geist. Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben, wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert" (Joh 20,22f). Deshalb werden bis heute Menschen in der Osternacht getauft und deshalb erneuern dort die Getauften ihre Entscheidung zu einem Leben mit Christus. Das ist schließlich auch der Grund dafür, warum die jährliche Vorbereitungszeit auf das Osterfest als eine Zeit der Umkehr begangen wird. Ursprünglich übten die Taufbewerber in diesen Wochen konkrete Schritte für einen Lebensweg mit Christus ein, um sich dann ganz dafür entscheiden zu können. Und die bereits getauften Christen überprüfen noch heute speziell in dieser Zeit, ob sie auf den Alltagswegen ihres Lebens wirklich klar auf Christus hin ausgerichtet geblieben sind. Vor diesem Hintergrund wird das Sakrament der Versöhnung und der Buße als echt österliche Feier der Vergebung deutlich, in dem uns Christus Freude, Neubeginn und Lebensfülle schenken will.
Wer umkehrt und nach der Vergebungszusage mit Jesus die Wege Gottes zu gehen beginnt, der macht eine tiefe Erfahrung von Versöhnung. Vor allem der Apostel Paulus bezeichnete das christliche Leben als ein versöhntes und versöhnendes Leben: Wo Feindschaft herrscht, bindet und vernichtet sie letztlich die Freude, Energie und Würde des Lebens. Feindschaft kann niemals durch einen erstrittenen Sieg, sondern bloß durch einen Akt wahrer Versöhnung überwunden werden. Dies kann aber nur geschehen, wenn man auch erste Schritte wagt, wenn man die Hand ausstreckt und aufeinander zugeht. Gott hat es jedenfalls gewagt, sagt Paulus, seinen geliebten Sohn als Versöhnungs- und Friedensboten in unsere gewalttätige und friedlose Welt zu senden. Und als Jesus am Kreuz schuld- und gewaltlos auf Grund unserer Sünde unterging, da antwortete Gott nicht mit Rache, sondern schuf neues Leben: Der auferweckte Gekreuzigte ist sein unwiderrufliches Versöhnungszeichen für alle Menschen.
In Gott versöhnt
Wer sich ihm anschließt, der soll und wird erfahren, dass gegenseitiger Hass und Befangenheit in uns selbst aufhören können, und dass wir in Gott wahrhaft versöhnt und in Frieden leben dürfen (vgl. 2 Kor 5,14-21; Röm 5,10-11; Kol 1,19-20). Auf den Herrn setzen wir deshalb all unsere Hoffnung, auf ihn wollen wir vertrauensvoll zugehen, denn Jesus Christus wandte sich stets bewusst auch den Verlorenen und Sündern zu, rief sie zur Umkehr auf und vergab ihre Sünden (vgl. Lk 7,36 ff).
Die Kirche bietet auch heute den Getauften die Feier eines versöhnenden Sakraments für unterwegs an, denn wir können auf dem Weg mit Christus oft auch zurück bleiben, wir können das Ziel aus den Augen verlieren und falsche Wege beschreiten. Sind wir aber bereit, uns wieder neu auf den in der Taufe eröffneten Weg einzulassen, uns erneut auszurichten am Evangelium, dann kann und soll uns im Sakrament der Versöhnung zugesprochen werden, dass wir Gottes geliebte Kinder sind und er an uns seine Freude hat. Die Fastenzeit stellt somit eine Einladung dar, den Weg einer Glaubenserneuerung zu beschreiten, der einmündet in die große Feier von Ostern. Gerade eine gemeinschaftliche Gestaltung dieser Tage, bei der es auch Möglichkeiten zur Erkenntnis und zum Bekenntnis persönlicher Sündenschuld gibt, kann so zu einer Exerzitienzeit für die Pfarrgemeinde werden.
Wer sich bewusst ist, versagt zu haben oder bewusst das Böse zugelassen oder getan zu haben, ist eingeladen, im Bußsakrament das Gespräch mit dem Priester und das versöhnende Wort der Kirche zu suchen. Wer sich in schwerer Sünde von Gott abgewandt hat und zu ihm umkehren will, muss in der Beichte die Zusage der Vergebung erhalten.
Damit tut die Kirche in der Liturgie und im Sakrament ganz das, was Christus selbst getan hat: versöhnende Zuwendung und ein aufrichtendes Gespräch schenken. Schon der Psalmbeter der Heiligen Schrift lehrt uns verstehen, dass das Aussprechen von belastender Schuld befreit, aufrichtet und zu neuem Leben verhilft (vgl. Ps 32).
Neubeginn
Das Fasten fördert einen bewussten Weg der Umkehr und des Neubeginns und ist oft mit Schritten liebender Aufmerksamkeit für die Mitmenschen, vor allem für jene in Not, verbunden. Die empfohlenen Bußfeiern helfen den Gläubigen, einzeln und gemeinsam im Geist der Umkehr und der Buße nachzuforschen, ob wir auf dem rechten Weg sind (vgl. Ps 139). In jeder Pfarre möge das regelmäßige Angebot einer Beichtgelegenheit gegeben sein. Dankbar darf diesbezüglich auch auf die Möglichkeiten der Aussprache und des Versöhnungssakramentes in den Klosterkirchen hingewiesen werden.
So wünsche ich Ihnen am Beginn der heiligen vierzig Tage, dass Sie die Freude am Glauben und an der Christusbeziehung vertiefen können oder diese in Erinnerung an die Gnade der Taufe wieder neu entdecken. Wer von Schuld belastet ist, erfahre befreiende Gespräche und die Zusage der Vergebung im Sakrament der Versöhnung. Möge das österliche Licht des Glaubens Sie begleiten, die Kraft des Glaubens Sie stärken und die Freude des Glaubens Sie erfüllen, sodass Sie nach einer gesegneten Fastenzeit bereit sind für eine bewusste, tief erlebte Mitfeier der Auferstehung des Herrn.
Ludwig Schwarz SDB