Mundartpoesie im Alter
„Ich habe hier meine Ruhe, aber auch das gute Gefühl, nicht allein zu sein“, erzählt Ingeborg Reiter. In ihrer barrierefreien Wohnung lebt sie vollkommen selbstständig. Bei Bedarf steht ihr Caritas-Mitarbeiterin Barbara Hintersteiner zur Seite. Als Hauskoordinatorin begleitet sie die Bewohner:innen organisatorisch und sozial – mit viel Herz und Engagement. „Nach jedem Arbeitstag gehe ich mit dem Gefühl nach Hause, etwas Sinnvolles getan zu haben“, so Hintersteiner, die das Haus seit 18 Jahren betreut.
Ingeborg Reiter mit Trompeter Willi Postl bei einer Lesung. © Caritas
Gedichte bereichern die Feiern
Gemeinsam Feste zu feiern, wie vor kurzem das Fastensuppenessen vor Ostern, sind besonders schöne Teile ihrer Arbeit: „Bei den Vorbereitungen helfen alle mit: Wer mag schneidet das Gemüse, eine Bewohnerin holt Blumen vom Garten, andere helfen beim Servieren oder decken den Tisch. Jeder und jede nach seinen Möglichkeiten und Vorlieben. Besonders schön ist es, anschließend gemeinsam beim Tisch zu sitzen und sich auszutauschen. Und am schönsten ist es, wenn danach alle zusammensitzen, plaudern und Gemeinschaft spüren.“ Einen besonderen Beitrag zu solchen Anlässen leisten die Mundartgedichte von Ingeborg Reiter, die viele Feiern bereichern und zum Schmunzeln, Nachdenken oder einfach zum Wohlfühlen einladen.
Ingeborg Reiter wurde 1941 in Braunau geboren. Sie wuchs auf einem Bauernhof in Selker auf und blickt auf ein erfülltes Leben zurück – als Schreibkraft, Produktionsmitarbeiterin und dreifache Mutter. Nach dem Einzug ins Betreubare Wohnen fand sie Zeit, eine Leidenschaft aufleben zu lassen: das Schreiben. Seit 2018 ist sie Mitglied im Stelzhammerbund, 2019 erschien ihr erstes Buch „S’Gredad auf der Gred“. Im März 2025 stellte sie bei einer gut besuchten Lesung in der öffentlichen Bibliothek Pregarten ihr zweites Werk „Wia da wö“ vor – begleitet von Musik und mit viel Applaus von „ihren“ Mitbewohner:innen.
Liebe- und kraftvolle Mundart-Texte
Mei Paradies
Es is a schener Tag im Mai,
des Wetta kunnt net bessa sei.
Es geht ma guat, tuat ma nix weh,
de Blumen rund herum bliahn sche.
Da Fliederduft in mei Nas’n dringt,
am Bam a Ams’l recht sche singt.
Lass ma’s bei Kaffee und Kuchen recht guat geh.
Da deng i ma, is s’Leben net sche?
I fühl mi wia im Paradies,
wer woaß, wia’s dort amoi dann is!
Aus: „Wia da wö: Gedichte aus dem Mühlviertel“ (BoD, 2025)
In ihren Gedichten bringt Reiter den kraftvollen Mühlviertler Dialekt zum Klingen. Sie bewahrt alte Ausdrücke und schildert in liebevoller Sprache Erlebnisse aus der Nachkriegszeit und dem bäuerlichen Alltag – humorvoll, lebensnah und mit einem feinen Gespür für das Menschliche. „Ich möchte mit meinen Texten die alte Sprache lebendig halten und zeigen, dass auch das Alter eine kreative Zeit sein kann“, sagt Reiter mit einem Lächeln. Das Betreubare Wohnen der Caritas bietet älteren Menschen wie Ingeborg Reiter genau diesen Raum: für Selbstbestimmung, für Gemeinschaft – und für neue Kapitel im Leben.